Abfindungen sind immer Versorgungsbezug

Abfindungen von Betriebsrenten kommen in der Anwartschaftsphase immer wieder vor, z.B. weil der Arbeitnehmer Geld benötigt und an seinen Arbeitgeber mit dem Wunsch herantritt, die Anwartschaft vorzeitig abzufinden. Dabei stellt sich regelmäßig die Frage, wie dabei beitragsrechtlich (und auch steuerlich) vorzugehen ist.

Am 20.04.2016 haben der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Bundesagentur für Arbeit zu Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs getagt. Auf der Tagesordnung stand auch als Nr. 4 die beitragsrechtliche Beurteilung von Abfindungen von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung. Hier wird die bisherige Rechtsmeinung aufgegeben.

Ausgelöst wurde diese Änderung der Rechtsanwendung durch zwei Urteile des Bundessozialgerichts (BSG, 25.08.2004 – B 12 KR 30/03 R und 25.04.2012 – B 12 KR 26/10 R) und ein jüngst ergangenes Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg, 24.03.2015 – L 11 R 1130/14). Hier gehen nun die Träger der Sozialversicherung von einer ständigen Rechtsprechung aus, der eine über den entschiedenen Einzelfall hinausgehende generelle Bedeutung beizumessen ist.

Die Sozialversicherung unterschied dabei bisher zwischen zwei Fallkonstellationen. Beide Fallkonstellationen werden künftig gleich behandelt!

1. Abfindungen außerhalb des Betriebsrentengesetzes

Dies sind z.B. Anwartschaften im laufenden Arbeitsverhältnis oder nach Ausscheiden bei vertraglich unverfallbaren Anwartschaften, die nicht unter § 3 BetrAVG fallen.

Alt: Hier gingen die Träger der Sozialversicherung bisher davon aus, dass es sich bei einer Abfindung um Arbeitsentgelt i.S.d. Sozialversicherung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV handelt. Dieser Abfindungsbetrag/ausgezahlte Rückkaufswert unterlag als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt nach Maßgabe des § 23a SGB IV der Beitragsberechnung. Der Betrag war in allen Zweigen der Sozialversicherung beitragspflichtig.

Neu: Diese Abfindungen sind beitragsrechtlich nicht mehr als Arbeitsentgelt nach § 14 SGB IV zu verstehen. Sie sind nunmehr immer als Versorgungsbezug nach § 229 SGB V einzuordnen – unabhängig vom Alter der betreffenden Person zum Zeitpunkt der Auszahlung.

Hinweis: Abfindungszahlungen sind damit generell als Versorgungsbezug zu klassifizieren, d.h. Abfindungszahlungen an nicht gesetzlich Krankenversicherte zählen ebenfalls nicht zum beitragspflichten Arbeitsentgelt. Es fallen damit für diesen Personenkreis auch keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung an.

Mit anderen Worten: Die Zuordnung als Versorgungsbezug bedeutet, dass bei Kapitalzahlungen die Leistung über 120 Monate zu verteilen ist und auf diesen fiktiven monatlichen Zahlbetrag dann Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erhoben werden. Entscheidend für die Zuordnung ist allein der ursprünglich vereinbarte Versorgungszweck.

Hinweise

    1. Die Zahlstelle (also: der Versicherer, die Pensionskasse, der Pensionsfonds, der Arbeitgeber im Falle einer Pensionszusage und ggf. die Unterstützungskasse) muss nun nach § 202 SGB V diesen Versorgungsbezug der zuständigen Krankenkasse mitteilen. Bisherige Arbeitsabläufe müssen der neuen Rechtslage angepasst werden.
    2. Diese Neuklassifizierung ist spätestens bei Abfindungen von Versorgungsanwartschaften, die nach dem 30.06.2016 ausgezahlt werden, anzuwenden. Bei Auszahlungen vor diesem Datum wird eine abweichende Handhabung nicht beanstandet.

2. Abfindungen nach Betriebsrentengesetz

Also die Abfindung von gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis (§ 3 BetrAVG).

Alt: Hier war bisher zu prüfen, ob ein beitragspflichtiger Versorgungsbezug i.S.v. § 229 Abs. 1 SGB V vorliegt. Bisher galt eine solche Zahlung nur ab Vollendung des 59. Lebensjahres wegen des engen zeitlichen Zusammenhanges mit dem Ruhestand bzw. nach Eintritt des Versorgungsfalles als Versorgungsbezug. Die Folge: Bei Kapitalzahlungen ist bei einem Versorgungsbezug die Leistung über 120 Monate zu verteilen und auf diesen fiktiven monatlichen Zahlbetrag werden dann Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erhoben.

Neu: Nun werden auch diese Abfindungen komplett – unabhängig vom Lebensalter des Zahlungsempfängers – immer als Versorgungsbezug eingeordnet. Sie sind von den Zahlstellen spätestens ab dem 01.07.2016 als solche den zuständigen Krankenkassen zu melden.

Hinweis: Die Ausführungen der Sozialversicherungsträger betreffen nur das Beitragsrecht. Steuerrechtlich gelten für Abfindungen die Grundsätze nach Rz. 390 des BMF-Schreibens vom 24.07.2013. D.h., Abfindungen einer nach § 3 Nr. 63 EStG geförderten Altersversorgung sind beispielsweise regelmäßig sonstige Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 5 EStG.

Durch die Neuzuordnung der Abfindungen in den Bereich des Versorgungsbezuges muss künftig der Arbeitgeber in den versicherungsförmigen Durchführungswegen daher regelmäßig nicht mehr tätig werden – weder beitragsrechtlich noch steuerrechtlich.

3. Übersicht alt/neu

Die folgende Übersicht zeigt, dass nun alle Fälle gleich behandelt werden. Insoweit kommt es zu einer Vereinfachung der Sachlage.

Beispiel Verbeitragung alt / neu

Jahreseinkommen 42.324 EUR, ledig, kinderlos, gesetzliche krankenversichert, Abfindungsbeitrag für Betriebsrente im April 2016 i.H.v. 50.000 EUR.

4. Erstattungsanspruch in Altfällen

Soweit von entsprechenden Abfindungszahlungen in der Vergangenheit bei einer Klassifizierung als Arbeitsentgelt Gesamtsozialversicherungsbeiträge gezahlt wurden (statt wie bei einem Versorgungsbezug nur Kranken- und Pflegeversicherung), kann eine Erstattung nach § 26 Abs. 2 und 3 SGB IV als zu Unrecht gezahlte Beiträge in Betracht kommen. Dazu ist ein Antrag an die Krankenkasse zu stellen. Diese prüft und stellt gegebenenfalls die Beitragspflicht (allein) zur Kranken- und Pflegeversicherung der dann als Versorgungsbezug klassifizierten Abfindung fest.

Hinweis: Eine Verrechnung der Beiträge durch den Arbeitgeber (gemäß den Grundsätzen vom 21.11.2006, Abschnitt 3.1.) ist nicht zulässig!

Fazit: Für den Arbeitgeber vermindert sich der Aufwand, da er nicht mehr verbeitragen muss. Die Versorgungsträger müssen ihre Prozesse sehr kurzfristig ab 01.07.2016 umstellen. Der Arbeitnehmer zahlt bei größeren Abfindungsbeträgen aufgrund der Verteilung über 120 Monate häufig mehr als bisher.

Dieser Beitrag wurde im Original erstellt von: Dr. Henriette Meissner, Stuttgart

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